Es dauert ein paar Sekunden, bis sich die Räder zu drehen beginnen und die Zapfen ineinander greifen. Sobald das Mühlrad aber erstmal Fahrt aufgenommen hat, begeistert die Technik jeden Besucher der Tiengener Ölmühle. Noch bis zu Beginn der 1950er Jahre produzierten die Müller Öle aus Walnüssen, Mohn, Bucheckern, Raps und Leinsaat.
»Die Ölmühle wurde erstmals 1718 erwähnt, stammt aber aus dem Mittelalter«, erklärt Kurt Benda als Vorsitzender des Vereins zur Renovation der alten Ölmühle in Tiengen. Um die Mühle mit Wasser zu versorgen, war der Stadtbach damals geteilt. Ein Teil floss durch die Stadt, der zweite direkt zur Mühle, um eine Änderung im Gefälle zu bekommen.
Aus Sicherheitsgründen befand sich die Mühle außerhalb der Stadtmauer. Kurt Benda: »Die Mühle arbeitete mit leicht brennbarem Material und war daher viel zu gefährlich für die alten Holzhäuser des Mittelalters.« Gegenüber der Mühle befand sich zu der Zeit der »Dicke Turm«, einer der Rundtürme der alten Stadtbefestigungsanlagen.
Wenige Meter weiter wurde das Wasser des Mühl- oder Ölebachs ein zweites Mal in der Lohstampfe genutzt. »In der Lohstampfe wurde die Flüssigkeit zum Gerber der Felle hergestellt«, berichtet der Vorsitzende und erklärt: »Das war im hohen Maße umweltschädlich und musste ebenfalls raus aus der Stadt.«
Welche Bedeutung die Ölmühle für die Stadt Tiengen besaß, zeigt das große Einzugsgebiet: der Bannkreis reichte von St. Blasien bis an den Rhein und von Säckingen bis Jestetten. Benda: »Jeder, der Ölfrüchte hatte, musste sie herbringen. Der Preis für das Pressen bestimmte die Stadt gemeinsam mit dem Ölmüller.« Zudem brachten Bauern aus der Schweiz ihre Ölfrüchte mit der Fähre nach Kadelburg, wo sie der Ölmüller am Zoll entgegen nahm und mit seinem Kuhgespann nach Tiengen fuhr. War der »Druck« fertig, brachte er seiner Kundschaft mit seinen beiden Kühen das begehrte Öl nach Kadelburg.
Eine letzte Blütezeit erlebte die Alte Ölmühle im Zweiten Weltkrieg, als die Bauern aus der Nachbarschaft und den Kreisen Säckingen und Neustadt ihre Ölfrüchte brachten. Den trockenen Rest nach dem Druck nahmen sie als Viehfutter mit. Die damalige Ölmüllerin, Anna Mutter, behielt aber immer so viel übrig, dass sie hungernden Kindern ein Stück Ölkuchen, das Ölebrot, zustecken konnte. »Nach vier, fünf Stück Ölkuchen aus Mohn wurden sie lustig – heute wissen wir, wieso«, schmunzelt Kurt Benda.
Nachdem die Ölmühle jahrzehntelang verfiel, wurde sie zwischen 1995 und 1999 von Grund auf renoviert. Hierfür wurde der Ölmühleverein ins Leben gerufen. Dass keine zweite Ölmühle dieser Bauart und Funktionsweise bekannt war, zeigt, wie schwierig es war, die alte Technik wieder instand zu setzen. Neben 500.000 DM mussten die Mitglieder Fachwissen zusammentragen oder neu schaffen, bis das Wasserrad, die Zapfwellen, die Holzstampfer und Walzen endlich liefen.
Kurt Benda: »Die Handwerksbetriebe von Wolfgang Albrecht, Uwe Krähenbühl und Walter Tomasi haben für uns umsonst gearbeitet. Sonst hätten wir es kaum geschafft.« Heute ist die Ölmühle bei Führungen und Anlässen wie dem Mühlefest, aber auch Klassentreffen zugänglich und finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden sowie dem Verkauf des Mühlegeistes, der »gut gegen alles« ist, wie Tiengens neuer Ölmüller versichert.
Weitere Infos zur Mühle gibt die Seite www.tiengen.de/sehenswuerdigkeiten/oelmuehle.html
Eindrücke unserer Wanderungen und Ausflüge im Schwarzwald.